Gründungsdirektor des Instituts für Systemarchitekturen in der Luftfahrt
Hamburg Aviation Serie "Standortpiloten" - Folge 18
Ein warmer Frühlingstag, Treffpunkt ZAL TechCenter in Finkenwerder. Björn Nagel steht in seinem kürzlich bezogenen Büro im vierten Stock und blickt auf die Elbe. Genauer gesagt daneben, auf ein großes Stück Rasenfläche. „Es dauert sicher nicht mehr lange, und wir brauchen noch mehr Platz“, bemerkt der Leiter des DLR-Instituts für Systemarchitekturen in der Luftfahrt. „Da drüben könnte so eine Erweiterung des ZALs doch gut hinpassen, oder?“, ergänzt er gut gelaunt.
Vorausschauend denken und planen, das ist wohl das Stichwort für die Forschung seines neuen Instituts, das einen Blick in die Zukunft des Fliegens wirft. „Wir entwickeln umweltfreundlichere und wirtschaftlichere Flugzeuge und Komponenten, indem wir den gesamten Lebenszyklus künftiger Luftfahrtzeuge schon beim Entwerfen berücksichtigen“, berichtet Nagel über seine Forschung. Das sei erst in letzter Zeit möglich geworden, weil immer mehr Daten und digitale Modelle in der Luftfahrt zugänglich werden. „Wir nennen das den Digitalen Faden. Daraus abgeleitetes Wissen nutzen wir, um das Zusammenspiel zwischen allen Teilsystemen des Luftverkehrs zu verbessern. Solche neuen „Systemarchitekturen“ schaffen Synergien und sind notwendig, wenn revolutionäre neue Technologien wie Flugzeuge mit elektrifizierten Antriebssträngen entworfen werden.“
Ob solch ein visionärer Ansatz in ein Zentrum für angewandte, also möglichst schnell zur Produktreife führende Luftfahrtforschung passen würde? „Wenn, dann hierher“, unterstreicht der 42-Jährige. Die Forschung sei mit dem Bedarf der Industrie in Hamburg abgestimmt. Deshalb habe das Institut einen Schwerpunkt auf Flugzeugkabinen gelegt. „Die Kabinen müssen nicht nur sicher sein, sondern auch den individuellen Anforderungen der zukünftigen Passagiere gerecht werden und gleichzeitig in immer stärker automatisierten Fabriken effizient produzierbar sein. Im Co-Design werden Produktentwurf und Produktionsplanung simultan betrachtet, wodurch sich neben Synergien auch mehr Freiheitsgrade für unkonventionelle Lösungen bieten.“
Das sei so komplex, dass man das nur im Verbund erforschen könne, fährt Björn Nagel fort. Nur in Zusammenarbeit mit den anderen DLR-Instituten und Industriepartnern wie Airbus, Diehl und Safran sowie institutionellen Partnern wie der TU Hamburg, der Hochschule für Angewandte Wissenschaften Hamburg und der Helmut-Schmidt-Universität sei so eine Forschung zu stemmen. Der Standort Hamburg mit seinem Luftfahrtcluster biete deshalb einmalige Möglichkeiten für den Aufbau einer derartigen Systemkompetenz. „Eine wichtige Rolle spielt dabei das ZAL, wo neue Ideen schnell diskutiert und digitale Modelle in der Realität erprobt werden können. Unser Beitrag liegt dabei in der Erforschung des Zusammenwirkens ganz verschiedener Disziplinen und Komponenten, also der Systemarchitektur“ führt Björn Nagel aus.
Er bewegt sich inzwischen seit fast zwanzig Jahren im Kosmos des Deutschen Zentrums für Luft- und Raumfahrt. Dabei wäre er ursprünglich fast in einem anderen Element gelandet: Der gebürtige Wedeler ist begeisterter Hobbysegler und verbrachte einen Großteil seiner Teenagerzeit auf der Elbe - mit dem festen Plan, Schiffbau zu studieren.
Doch mit 16 Jahren änderte ein Ausflug im Segelflugzeug alles: „Ich habe plötzlich realisiert, dass es nicht die Schiffe, sondern die Flugzeuge sind, die mich so richtig begeistern“, erinnert sich Nagel. Er wurde leidenschaftlicher Segelflieger und suchte sich - auch hier ganz vorausschauend - die Hochschule nach den besten Flugbedingungen aus. Braunschweig überzeugte ihn mit seiner Akademischen Fliegergruppe AkaFlieg. Praktisch: Das Team traf sich auf dem Gelände des dort ansässigen DLRs; so lernte der junge Student der Luft- und Raumfahrttechnik die Forschungsinstitution näher kennen und wurde studentische Hilfskraft. Bis 2007 blieb er im Braunschweiger DLR-Institut für Faserverbundleichtbau und Adaptronik, bevor er im Hamburger Institut für Lufttransportsysteme die Leitung der Abteilung Integrierter Luftfahrzeugentwurf übernahm.
Als Gründungsdirektor des Instituts für Systemarchitekturen in der Luftfahrt hat er im November 2017 mit Prof. Hans Peter Monner vom ebenfalls neu eröffneten Institut für Instandhaltung und Modifikation und mit dem damaligen Bürgermeister Olaf Scholz die gemeinsame DLR-Stele im ZAL enthüllt – „ein großer Moment für uns alle“, wie er betont. Mittlerweile sitzen er und seine rund fünfzig Mitarbeiter über das gesamte ZAL TechCenter verteilt. Beide Institute sind so gewachsen, dass man weitere Flächen suche – „und da kommt ein möglicher Neubau auf der Wiese ins Spiel“, lacht Nagel. Ein ganzer „ZAL-Campus“ auf Finkenwerder, um noch mehr Forschungsexpertisen in Hamburg zu bündeln und die Stadt als Forschungsstandort weiter wachsen zu lassen – das wäre Nagels Traum.
Ob er bereue, nie den Arbeitgeber gewechselt zu haben? „Das Zentrum für Luft- und Raumfahrt ist immer in Bewegung, weil Luftfahrt nicht stillsteht“, antwortet Nagel. „Das wird nie langweilig.“ Seit kurzem biete die massive Durchgängigkeit der Daten ungeahnte Möglichkeiten. „Deshalb stehen wir an der Schwelle einer ganz neuen Epoche in der Flugzeugforschung. Herausforderungen liegen dabei nicht nur im Einsatz von Informationstechnologien wie Künstlicher Intelligenz, sondern auch darin, wie Teams aus ganz verschieden spezialisierten Wissenschaftlern an solchen Themen zusammenarbeiten.“ An Vielfalt mangelt es nicht in seinem Team. Die Hälfte der Forscher ist international, jede vierte Mitarbeiterin ist eine Frau. Und seine Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter sollen sich wohlfühlen in den Räumlichkeiten. Für die lichtdurchfluteten Räume im ZAL TechCenter hat Nagel von einer Architektin ein innovatives Bürokonzept mit modernen Arbeitsplätzen entwerfen lassen.
Offene Türen: Auch nach außen propagiert Nagel den Netzwerkgedanken. Wenn sich die wissenschaftliche Arbeit des DLR in Hamburg mit den Expertisen aller verbinde, sei Hamburg gut für die Zukunft gerüstet, da ist sich Björn Nagel sicher.
Mehr über das Institut von Björn Nagel und seinem Team: https://www.dlr.de/sl/desktopdefault.aspx/tabid-12343/21557_read-49524/