Forschernachwuchsgruppenleiter an der Helmut-Schmidt-Universität
Hamburg Aviation Serie "Standortpiloten" - Folge 17
Jenfeld, kurz vor Weihnachten: In einem der Seminarräume der Helmut-Schmidt-Universität sitzen knapp hundert Studierende tief gebeugt über ihrer Klausur. Auffällig ist die Durchmischung von angehenden Ingenieuren in Zivilkleidung und solchen in Bundeswehruniform, die hier Seite an Seite gleichermaßen nervös mit den Füßen wippen. Prof. Dr. Robert Weidner, angestellt im Laboratorium Fertigungstechnik der Fakultät für Maschinenbau, könnte sich mit seinen 32 Jahren noch wunderbar zwischen den Prüflingen verstecken. Tatsächlich steht er in einem kleinen schmucklosen Raum, findet unter einer Bank eine Kiste Wasser und beginnt schon beim Eingießen zu erzählen. Von der gerade beendeten Konferenz „Technische Unterstützungssysteme, die die Menschen wirklich wollen“ und von den zahlreichen Ideen in seiner Forschergruppe. Schnell wird deutlich: von der trockenen Theorie, die die Studierenden ein Zimmer weiter zu Papier bringen müssen, ist Robert Weidner weit entfernt.
2014 hat er die Nachwuchsforschergruppe „smartASSIST“, die seitdem durch das Bundesministerium für Bildung und Forschung gefördert wird, an der HSU aufgebaut. Ihr Fokus liegt auf Systemen nach dem „Human Hybrid Robot“ Prinzip: Bestimmte, der Belastung ausgesetzte Körperteile oder sogar der ganze Körper des Menschen werden mithilfe technischer Systeme unterstützt, um so manuelle Arbeiten ergonomischer zu gestalten. Der Ursprungsgedanke hinter dem Forschungsbereich ist, dass es zwar bereits den Roboter in beispielsweise Luftfahrt- oder Automobilindustrie gibt, der entweder ganz autonom oder durch Kollaboration mit dem Menschen („Cobot“) agiert. Der Mensch ist aber weiterhin in vielen Bereichen nicht zu ersetzen. „Durch Automatisierung fallen in erster Linie einfache und/oder monotone Aufgaben weg und es bleiben häufig komplexe Aufgaben übrig. Beschäftigt sich der Werker sehr lange mit einer körperlich anstrengenden Tätigkeit, verschleißt kurz- und langfristig das Muskel-Skelettsystem. Das wollen wir verhindern“, erklärt Weidner den Grundgedanken hinter der Körperunterstützung. Weidner und sein Team betreiben quasi aktive „Familienzusammenführung“ und bringen Robotik und menschliche Arbeitskraft so nah aneinander wie möglich, um die Ergonomie am Arbeitsplatz zu verbessern.
In seinem Team versammelt Weidner bewusst ganz unterschiedliche Kompetenzen, unter anderem aus Ingenieurs-, Bewegungs-, Sozial- und seit kurzem auch Rechtswissenschaften. Warum so ein bunter Mix? „Bei uns steht der Mensch im Mittelpunkt. Und das bedeutet automatisch, dass sein Handeln hinterfragt, seine Daten geschützt und natürlich sein Bewegungsapparat verstanden werden müssen“, erklärt Weidner. „Richtig gut funktioniert es erst, wenn man die Disziplinen der Anderen mehr respektiert als seine eigene“ zitiert er den Paten seiner Nachwuchsforschergruppe, Kybernetik-Experte Prof. Klaus Henning von der RWTH Aachen.
Der ausgeprägte Forschergeist der jungen Truppe rund um Weidner wird im Jenfelder Labor sichtbar: hier darf gebastelt, zusammen und wieder auseinandergebaut, getestet und vor allem vieles am eigenen Körper anprobiert werden. Ein junger Mitarbeiter von Weidner, Tobias Meyer, hat einfache Papierlamellen mit Gefrierbeutelfolie umhüllt. Entzieht man den flexiblen Päckchen die Luft, werden sie fest und können somit zur Stabilisierung von Körperregionen, z.B. dem Rücken, genutzt werden. Meyer hat mit diesem Konzept den Hamburg Aviation Nachwuchspreis gewonnen.
Nachwuchsförderung ist dem Professor enorm wichtig. Seit dem Teenageralter ist er im Radsportverein ehrenamtlich tätig. Während seines Maschinenbaustudiums an der TU Hamburg wuchs in ihm der Gedanke, an der Universität zu arbeiten, und sein Wissen später zu teilen. Seine akademische Laufbahn startete Weidner als wissenschaftlicher Mitarbeiter an der HSU, auf der anderen Seite der Elbe. Auf dem alten Kasernengelände begleitete er schnell federführend Aktionen im Rahmen des Boys‘ und Girls‘ Day. Darauf aufbauend bot er gemeinsam mit dem Faszination Technik Klub eine Universität für Jugendliche, das „TeenLab“ an. Dort erarbeiten Jugendliche ab 14 Jahren bis heute mit wissenschaftlicher Unterstützung eigene Forschungsfragen, bauen Modelle und programmieren. „Klar sind Exoskelette jetzt auch nicht der uncoolste Einstieg in Ingenieursstudiengänge“ ist sich Weidner sicher. Seit Bestehen des Labs haben gleich mehrere Teilnehmer mit ihren Ideen bei „Jugend Forscht“ Preise gewonnen, eine Gruppe konnte sogar auf internationaler Ebene siegen. Weidner setzt sich dafür ein, dass die engagierten Schüler auch darüber hinaus der Helmut-Schmidt-Universität erhalten bleiben, darunter zwei Studentinnen und ein Student aus dem TeenLab, die ein Stipendium an der HSU erhalten haben und im smartASSIST-Team mitarbeiten. Weidner selbst ist Nachwuchswissenschaftler 2018, eine Auszeichnung, die vom Deutschen Hochschulverband verliehen wird. Auch zu den „40 Talenten unter 40“ der Zeitschrift Capital gehört er. Was er bis 40 überhaupt noch erreichen wolle? Darauf wüsste er spontan keine Antwort außer „Weitermachen“, gesteht Weidner lachend.
Mittlerweile sitzt Robert Weidner auch noch mindestens einmal pro Woche im Flugzeug. In Innsbruck hat er die Professur für Fertigungstechnik übernommen und baut diese aktuell auf. Der Schwerpunkt des Lehrstuhls wird auch in Österreich auf dem Arbeitsplatz der Zukunft liegen. Zusätzlich ist nun TTS Tooltechnic Systems aus Süddeutschland auf ihn zugekommen, die mit ihm gemeinsam die Ideen aus der Forschung verwirklichen will. Die Ausgründung exoIQ GmbH hat sich in Hamburg-Wilhelmsburg niedergelassen.
Bleibt bei all diesen Projekten überhaupt noch Zeit für Freizeit? „Das geht schon irgendwie“, sagt Weidner. Er habe eben sein Hobby zum Beruf gemacht, ergänzt er schmunzelnd und eilt weiter in den nächsten Termin.
Um rauszufinden, wo die Entlastung greifen kann, ist erstmal Grundlagenforschung notwendig gewesen, beispielsweise an welcher Stelle es aus physiologischer Sicht sinnvoll ist den Menschen zu unterstützen. Auch für den studierten Maschinenbauer Weidner war dies einst Neuland. Die daraus entwickelten Unterstützungssysteme wurden bereits früh getestet, so zum Beispiel stützende Armschienen für Tätigkeiten am Tisch. Schon bald wagten die Jungwissenschaftler die Entwicklung ganzer Exoskelette, die beim Heben, Greifen von Gegenständen, der Arbeit über Kopf oder zur Verbesserung der Mobilität entlasten.
Manchen Freunden muss der Professor manchmal noch erklären, dass er gerade nicht den nächsten „Terminator“ erschaffe, sondern den natürlichen Bewegungsablauf des Menschen unterstützt und der Mensch immer die Hoheit über jegliche Aktivität behält. „Der Mensch soll nicht plötzlich doppelt so viel tragen und dreimal so lange arbeiten können“ betont Weidner. Eingesetzt werden die Systeme vielleicht schon bald: Bei Airbus ist man bereits der Meinung, dass Exoskelette zukünftig deutlich stärker in der Fertigung eingesetzt werden könnten. Aber nicht nur Mechaniker sollen von den Systemen profitieren. „In der Altenpflege können Exoskelette Fachkräfte entlasten, wenn sie ältere Menschen heben oder bewegen müssen“, erklärt Weidner. Auch hier finden bereits Tests statt.