Die Gründer von Synergeticon
Hamburg Aviation Serie "Standortpiloten" - Folge 14
Einen Termin mit Daniel Erdelmeier und David Küstner zu bekommen, ist gar nicht so leicht. Morgens in Stade, mittags in Finkenwerder, nächste Woche in Dubai oder Mobile/Alabama - die Gründer von Synergeticon sind nonstop unterwegs und treffen sich mit Kunden für ihre Software. Dabei treten sie, wie auch bei diesem Interview, meistens zu zweit auf. Bisweilen passiert es dabei, dass sie sich als deutlich jüngste am Tisch in einem Verhandlungsgespräch befinden. "Spätestens wenn wir loslegen, sind aber alle Zweifel beseitigt, freut sich David Küstner. "Es ist gut, unterschätzt zu werden", ergänzt Daniel Erdelmeier. "Dann überrascht man mehr."
Hinter dem 30-jährigen Küstner und dem 31-jährigen Erdelmeier liegt eine Erfolgsgeschichte, die zeigt, dass digitaler Gründergeist nicht nur in Kalifornien zuhause ist. Auch wenn die Geschichte ihres Unternehmens dort begann. Aber der Reihe nach: Bereits als Studenten der RWTH Aachen bastelten die leidenschaftlichen Programmierer Küstner und Erdelmeier an einer unterstützenden Software - zunächst für das Qualitätsmanagement von Apotheken. "Meine Eltern sind beide Apotheker, da lag der Start in dieser Branche irgendwie nahe. Die Nachfrage war aber leider weniger da", erklärt Daniel Erdelmeier. Geboren in Chicago, aber aufgewachsen in Karlsruhe, ist Erdelmeier studierter Luft- und Raumfahrtingenieur. David Küstner, groß geworden zwischen Köln und Bonn, ist Wirtschaftsingenieur und wäre um ein Haar in der Textilproduktionstechnik gelandet. "Ich hatte bereits einen Job in Tokio in Aussicht, es gefiel mir da aber einfach nicht", beteuert er.
Luftfahrt begeisterte allerdings beide, und so landeten sie im Praktikum bei Lufthansa Technik in Hamburg. Dort beobachteten sie etwas, das sie nicht mehr los ließ: Sie stellten fest, dass Mess- und Wartungsprozesse immer noch papierbasiert abliefen - ganz anders als in Branchen wie der Automobilindustrie.
Überdies: Aus den noch sehr analogen Arbeitsschritten schlossen sie auf einen Informationsverlust zwischen den einzelnen Prozessbeteiligten - Stille Post an der Werkbank sozusagen. Doch als die Abschlussarbeit für die Uni anstand, packten Küstner und Erdelmeier zunächst ihre Koffer und zogen für drei Monate nach Kalifornien. Eigentlich nur auf der Suche nach dem süßen Leben am Pazifik kamen sie in Bars und auf Partys mit Gründern aus dem Silicon Valley ins Gespräch. Was sie in Groß Borstel beobachtet hatten, war auch hier Gesprächsthema, realisierten die beiden.
Mit einem Rucksack voller digitaler Ideen für ein eigenes Unternehmen kamen sie zurück an die Elbe.
David Küstner und Daniel Erdelmeier von Synergeticon
David Küstner von Synergeticon
Daniel Erdelmeier von Synergeticon
David Küstner von Synergeticon
Daniel Erdelmeier von Synergeticon
Im ZAL TechCenter hat das Team seit Anfang 2017 seine Büros.
Küstner und Erdelmeier liehen sich Geld von ihren Eltern und gründeten eine GmbH. Ein angemietetes Reihenhaus in Pinneberg wurde das, was für Steve Jobs die Garage in Palo Alto war. In ihrem vorstädtischen "Valley" programmierten die beiden monatelang Tag und Nacht an einer Assistenzsoftware für den MRO-Bereich. "Sozial war diese Zeit nicht gerade", lacht Daniel Erdelmeier. Der Einsatz aber lohnte sich, Lufthansa Intercoat wurde der erste Auftraggeber, Lufthansa Technik folgte kurz danach.
Mittlerweile gefördert durch das Startup-Dock der TU Hamburg, wurde Airbus auf sie aufmerksam und nahm sie ins BizLab auf - "natürlich auch dank eines wirklich sehr peinlichen Bewerbungsvideos, mit dem man uns heute erpressen könnte", betont Küstner augenzwinkernd. Das Airbus-eigene Förderprogramm für junge Gründer mit Standorten in Hamburg, Toulouse und Bangalore verschafft den Teilnehmern in einer sechsmonatigen "Akzelerator"-Phase Zugang zu Entwicklungsabteilungen, Investoren und fachspezifischen Mentoren. Hier lernten die beiden, vor Kunden zu präsentieren und "dass es nicht reicht, mit ein paar Folien und ohne Prototypen zur Verhandlung zu gehen", beschreibt Küstner die Zeit im BizLab.
Diese führte auch zu einer stärkeren, inhaltlichen Aufteilung unter den beiden Partnern: Küstner verantwortet heute das Management des Unternehmens, Erdelmeier ist der technische Leiter. Dabei ergänzen sie sich in ihren Fähigkeiten: "Ich gehe gerne in die Tiefe und will den Prozess von Grund auf verstehen", so Erdelmeier. "David guckt eher aufs große Ganze und hat ein sehr gutes Gespür für Trends". "Wir fällen weiterhin alle Entscheidungen gemeinsam", ergänzt Küstner. "Das geht jetzt schon drei Jahre gut - auch dank unserer ausgewogenen Streitkultur", schmunzelt er.
Die mittlerweile sechs Mitarbeiter würden sich manchmal erschrecken, wie emotional die Diskussionen der beiden Chefs seien. "Wir nennen das "frühes Eskalieren". Wenn nicht alles sofort auf den Tisch kommt, wird es irgendwann zum Problem", so ist sich Küstner sicher. Das Ruder in der Hand behalten, das sei beiden wichtig. Bereits früh habe sich ein Investor für die Idee von Synergeticon interessiert. "Wir wollten uns aber möglichst ohne Einfluss von außen entwickeln", betont Erdelmeier. "Nun finanzieren wir uns komplett durch Kundenprojekte". Küstner nickt und ergänzt freudestrahlend: "Und das muss man sich mal vorstellen: Wir können alles frei entscheiden!". Zuletzt hat sich auch Airbus in die Liste der Kunden eingereiht.
Und wie funktioniert die Software von Synergeticon genau? "Unsere Plattform "Sierra 2" ist für unterschiedliche Kunden konfigurierbar. Es sucht sich die nötigen Informationen zum Arbeitsschritt zum Beispiel aus SAP-Aufträgen, empfängt die Werte von angebundenen Messgeräten und gibt dem Benutzer am Tablet sofortiges Feedback", erklärt Daniel Erdelmeier. "Mit einer VR-Brille lässt sich ein Bauteil zusätzlich dreidimensional aufrufen und von allen Seiten prüfen - ein "digitaler Zwilling" entsteht, der erstmals den ganzen Wartungsprozess eines Bauteils abdecken kann". Im ZAL TechCenter, in dem das Team seit Anfang 2017 seine Büros hat, stößt das Duo mit ihrer Innovation auf offene Ohren bei den "großen" Mietern und hilfreichen Austausch mit anderen Startups über Herausforderungen des Gründerdaseins. Auch im Hamburg Aviation Netzwerk tauschen sie sich regelmäßig mit den anderen Mitgliedsunternehmen aus, sogar erste Kooperationen sind daraus entstanden.
Als nächstes wollen die beiden den Mittelstand für sich gewinnen. "Der klassische Werker hat eine Ausbildung gemacht, bei der er möglichst nah am Produkt arbeitet, aber nicht digital", erläutert Erdelmeier. "Dort setzen wir an und zeigen die Möglichkeiten auf, wie nun auch der letzte Messschieber digitalisiert und der Arbeitsschritt verbessert werden kann". Für KMUs sei jetzt die Chance, sich digital aufzustellen, bevor sie überholt würden, ergänzt Küstner. Gerade im Mittelstand müsse man dem Thema Industrie 4.0 jedoch sensibel begegnen. "Wenn der Endnutzer nicht überzeugt ist oder gar Angst entwickelt, durch den digitalen "Kollegen" seinen Job zu verlieren, boykottiert er im schlimmsten Fall das System", warnt er.
Zeit zum Durchatmen bleibt David Küstner und Daniel Erdelmeier aktuell somit kaum. Dazu ist das Auftragsbuch für 2018 bereits zu gut gefüllt, die beiden stellen zusätzliche Mitarbeiter ein. Raum für ein gemeinsames Hobby haben Küstner und Erdelmeier dennoch: beim Segelfliegen schalten sie nicht nur ab, sondern leisteten auch hier schon Überzeugungsarbeit für Ihr Unternehmen: Ihr Fluglehrer Simon Bacher ist mittlerweile Teil des Teams von Synergeticon.
Redaktion: Julia Grosser