Geschäftsführer, jetlite
Hamburg Aviation Serie "Standortpiloten" - Folge 11
Kreativräume mit Sitzsäcken, ein Auditorium im Kabinenlook, bunte Zeichnungen an den Wänden - das Airbus BizLab bildet optisch eindeutig den hippen Gegenpart zum Mutterkonzern auf Finkenwerder. Mittendrin sitzt Achim Leder, Geschäftsführer von jetlite, im Kapuzenpullover auf einem Sofa. Möchte man sich ein Bild davon machen, wie die neue Generation der Hamburger Luftfahrtunternehmen aussieht, scheint dieser Anblick wohl mehr als passend.
Und in der Tat: schnell denkt man bei dem Unternehmensgründer und seinem jungen, vierköpfigen Team an ein klassisches Startup. Seine Teamkollegen sind ehemalige Studenten der Jade-Hochschule Wilhelmshaven. Achim Leder, 37 und promovierter Wirtschaftswissenschaftler, war bis vor kurzem ihr Professor. Ihm ist es aber wichtig, dass man den Trendbegriff Startup realistisch betrachtet: "Wir sind eigentlich Unternehmensgründer. Unternehmensgründung ist cool, aber auch anstrengend - und "Startup" impliziert immer ein wenig ,komm ich heut nicht, komm ich morgen'". Hinter jetlite stehe vielmehr ein flugfähiges Produkt, das den Passagierkomfort der Zukunft maßgeblich beeinflussen werde, so Leder. Und nicht zuletzt ist es der Förderer Airbus, der jetlite von vielen kleinen Ideenschmieden unterscheidet.
jetlite baut auf der Wirkung von Licht auf und nutzt dafür die für "Mood Lighting" entwickelte Technik, stimmungsvollem Licht, dass sich positiv auf den Betrachter auswirkt. Formen davon finden wir nicht nur in moderner Bürobeleuchtung oder zuhause, sondern auch immer mehr in der Luftfahrt. So projiziert Finnair in seinem Airbus A350 bereits heute beruhigend wirkende Polarlichter an die Kabinendecke. jetlite geht einen Schritt weiter und stützt sich auf wissenschaftliche Forschungsergebnisse. Die von Achim Leder durchgeführte Studie belegt, dass spezielles, blaues Licht die Produktion des Schlafhormons Melatonin unterdrückt. Durch den gezielten Einsatz dieses Lichts auf Langstreckenflügen soll die innere Uhr der Passagiere nicht mehr so stark aus dem Gleichgewicht gebracht werden. Und die Reisenden sollen sich am Ziel fitter fühlen, so die Idee hinter jetlite.
Jetlag minimierendes Licht - diese Unternehmensidee verdankt Leder nicht zuletzt den Lichtschaltern im Elternhaus: "Zuhause habe ich immer alle Lichter angemacht und meine Eltern mussten hinter mir herlaufen, um diese wieder auszuschalten. Licht war für mich immer schon ein Thema. Ich finde es schlimm, wenn Räume schlecht beleuchtet sind." Geradezu grauenhaft fände er Neonröhren, wie sie viele immer noch in ihren Küchen haben - "das geht einfach gar nicht". Ebenso lichtempfindlich: Prof. Jarek Krajewski, Arbeitspsychologe und Leders späterer Doktorvater. Auf einer Feier offenbarte ihm der Professor die wissenschaftlich belegte Wirkung von Licht auf die Produktivität von Arbeitnehmern. Aus einem Partygespräch wurde eine Fragestellung: Wenn Licht den Biorhythmus beeinflusst, kann es uns gleichermaßen in einem der wohl bekanntesten Momente helfen, der uns aus dem Takt bringt - dem Jetlag? Dazu müsste das aktivierend wirkende Licht theoretisch auf Langstreckenflügen zur richtigen Zeit eingesetzt werden.
Leder hatte ein Promotionsthema und trommelte ein Team zusammen. In umfangreichen Tests simulierten sie Langstreckenflüge, in denen Probanden drei Mal jeweils zehn Stunden in ein Kabinen-Mockup gesetzt wurden. Die Testgruppe saß unter Beleuchtung mit einem höheren Rotanteil am Abend und hohem Blauanteil am Morgen. Anschließend wurden sie der gleichen Strecke unter normalen Kabinenlichtverhältnissen ausgesetzt. Hier kämpften die Probanden schnell mit den typischen Jetlag-Symptomen. Nach dem "Flug" mit jetlite konnten sie wiederum schneller und tiefer schlafen und waren bei der simulierten Ankunft wacher. Darauf aufbauend entwickelte Leder mit seinem Team einen Algorithmus, der das optimale Beleuchtungsprogramm für verschiedene Flugrouten errechnet - jetlite war geboren.
Osram, Airbus und das Fraunhofer Institut für Bauphysik Holzkirchen ließen sich von der Forschungsidee überzeugen und als Partner gewinnen. Die Infrastruktur für die umfangreichen Tests stellte Diehl zur Verfügung. Den Kontakt zu den Luftfahrtunternehmen verdankt Achim Leder seiner langjährigen Netzwerkarbeit in Berlin. Begonnen hatte er als studentische Hilfskraft im Berliner Forum Zukunft, einer der größten politischen Plattformen für Luftfahrtthemen. Anschließend war er für EADS in der Interessenvertretung in der Hauptstadt aktiv. Hier organisierte er unter anderem für Abgeordnete des Bundestags eine Reise zum Erstflug der A380 nach Toulouse. "Das Interessante ist dabei, dass ich bis heute noch nicht ein einziges Mal einen Fuß in eine A380 gesetzt habe. Weder damit geflogen, noch auf irgendeiner Messe. Aber wer weiß, vielleicht hat es einen Grund, warum ich mir das noch aufspare", zwinkert Leder.
Nach einer weiteren Station beim Triebwerkskonsortium Eurojet in München wechselte der gebürtige Westfale zurück in heimische Gefilde an den Flughafen Dortmund und verantwortete den Vertrieb. Luftfahrt hätte seit seiner Kindheit einen großen Reiz für ihn, so Leder, der mit seinem Großvater in den Sommerferien beinahe jeden zweiten Tag an den Airport Düsseldorf gefahren ist, um den Flughafenbetrieb zu beobachten. Den Blick auf Start und Landungen in der ersten Reihe hätte er sicher noch weiter genossen, wenn ihm nicht besagtes Licht aufgegangen wäre: "Irgendwie stand 2010 alles auf Neuanfang, da bot sich die Promotion an".
2012 und 2013 präsentierte das Projektteam ihrem Unterstützer Airbus die erzielten Ergebnisse - zunächst erfolglos, der Flugzeugbauer sah keine momentane Relevanz für das Thema. Leder beendete seine Promotion an der Bergischen Universität Wuppertal und hätte vielleicht ganz damit abgeschlossen, wenn ihm nicht eines seiner Talente in die Karten gespielt hätte: "Irgendwie bin ich immer der Letzte auf Veranstaltungen, der geht". Auf persönliche Einladung von Brigitte Zypries, Koordinatorin für Luft- und Raumfahrt, die er auf einer Ausstellungseröffnung in Berlin, kennengelernt hatte, präsentierte er seine Idee auf der Startup-Nacht des Bundeswirtschaftsministeriums - trotz hohen Fiebers. Dort traf er Alexander Katzung, damaliger Leiter des Airbus BizLabs in Hamburg und Rey Buckman, den heutigen BizLab Leader - und blieb bis zum Schluss der Veranstaltung mit ihnen im Gespräch. Das war der Schlüsselmoment für die Gründung von jetlite. Nach erfolgreicher Bewerbung zog Leder mit seinem Team Anfang 2016 nach Finkenwerder.
Volle Kraft zum Durchstarten
Das BizLab ist der "Aerospace Accelerator" für junge Gründer von Airbus mit Standorten in Hamburg, Toulouse und Bangalore. Es fördert innovative Ideen in der Luft- und Raumfahrt und will den Branchennachwuchs unterstützen, seine Konzepte zur Marktreife zu bringen. Das BizLab ermöglicht den Geförderten den Zugang zu Abteilungen und Büroräumen von Airbus und hilft mit Kontakten zu Investoren, Mentorings und juristischer Beratung, damit die Teams sich gezielt auf den Feinschliff des Geschäftsmodells konzentrieren können. jetlite habe insbesondere von der Integration in die Unternehmensstruktur profitiert, so Leder. "Manchmal ist schon eine eigene Airbus-Durchwahl, so profan es klingt, geradezu entscheidend, um schnell weiter zu kommen."
zur "Passenger Journey"
Wenn am 10. Februar 2017 der erste Airbus A350-900 der Lufthansa in den Langstreckendienst geht, erleben Fluggäste erstmals die an den menschlichen Biorhythmus angepasste, insgesamt 24 Lichtszenarien in der Kabine. Das wissenschaftliche Konzept stammt von Leder. Nach der A350 rüstet Lufthansa die Boeing 747-800 um, die ebenfalls mit dem neuen Lichtkonzept fliegen wird. Mit dem erfolgreichen Marktlaunch wird jetlite das Airbus-Gründerzentrum im März verlassen und Büros im ZAL Zentrum für Angewandte Luftfahrtforschung beziehen. Leders Ziel in den nächsten drei Jahren: dass alle neuen A350 und A330 mit dem wirkungsvollen LED-Licht ausgestattet werden. Zudem soll jetlite zukünftig als ganzheitliches Konzept für die gesamte "Passenger Journey" funktionieren, von der Buchung bis zur Ankunft. So beschäftigt sich eine jüngst ins Team dazu gestoßene Ökotrophologin mit auf die Flugzeiten abgestimmten Ernährungskonzepten. Ein weiterer Teil des Produktportfolios soll die jetite-App werden. Bereits einige Tage vor dem Langstreckenflug gibt sie Verhaltenstipps zur Jetlag-Reduktion und signalisiert, wenn es sinnvoll wäre, schlafen zu gehen - quasi Training für die Reise. Die Achtsamkeit für den eigenen Biorhythmus ist ein weltweiter Trend, von dem jetlite profitieren möchte. "Wahrscheinlich müsste ich mich einfach als Hipster verkleidet mit Holzfällerhemd und Hornbrille auf den Berliner Alexanderplatz stellen und rufen ,kommt, kauft mir ein bisschen jetlite ab'", lacht Leder bei der Erkenntnis, dass sein Produkt mit dem Zeitgeist geht - und dabei doch nachhaltig seine Spuren hinterlassen will, im Passagierkomfort der Zukunft.
Text: Julia Grosser