Höhere Datenqualität und bessere Prognosen sowie weniger Instandhaltungsevents und längere Lebensdauer

Die Lufthansa Technik AG hat kürzlich zusammen mit der Polytechnischen Universität Turin ein automatisiertes, nicht invasives Diagnoseverfahren für die Eingangsprüfung von primären hydraulischen Flugsteuerungs-Aktuatoren entwickelt. Ziel des noch bis Ende 2020 laufenden Projektes Hydraulic Diagnostics (HyDiag) ist es, die Diagnosen für diese sicherheitskritischen Bauteile deutlich zu präzisieren, ihre Instandsetzung zu beschleunigen und ihre Lebensdauer signifikant zu verlängern.

Da sie während eines Fluges permanent in Bewegung sind, unterliegen gerade die Aktuatoren der primären Fly-by-Wire-Flugsteuerung einer sehr hohen Beanspruchung. Im Falle einer Fehlermeldung werden sie in den Komponentenwerkstätten von Lufthansa Technik in Hamburg auf Verschleiß geprüft und neu eingestellt. Dazu wird der zu prüfende Aktuator zunächst anhand einer umfangreichen Abfolge individueller Bewegungsmuster auf einem Prüfstand ein- und ausgefahren. Ein hochsensibles Messsystem zeichnet dabei das Verhalten diesem Input gegenüber auf. Dort wo die Resultate außerhalb der im Component Maintenance Manual vorgegebenen Toleranz liegen, wird entsprechend repariert.

Bislang wurde dieser Eingangstest von einem Mechaniker übernommen, der sich aufgrund der menschlichen Limitationen bei Fehlererkennung und Einstellgenauigkeit jedoch immer nur an einzelne Schadensbilder "herantasten" konnte. Viele sich nur andeutende Verschleiße blieben, weil noch im Rahmen der erlaubten Toleranz, dabei unentdeckt. Schon wenig später konnten jedoch auch diese Verschleiße einen erneuten Austausch des Aktuators nötig machen. In der Folge nahm dessen "Time-on-Wing" mit jedem Werkstattbesuch kontinuierlich ab.

Um das zu verhindern, verfolgt das automatisierte HyDiag-Verfahren einen streng datenzentrierten Ansatz. Dabei wird der Aktuator während des Eingangstests mit einem eigens entwickelten, umfangreichen Schwingungsmuster angeregt. Ähnlich einem Belastungs-EKG zeichnet der Prüfstand währenddessen sämtliche bauteilspezifischen Reaktionen auf diese Anregung auf. Die gewonnenen Daten sind so aussagekräftig, dass sich daraus Rückschlüsse auf den Verschleiß nahezu aller Einzelkomponenten ziehen lassen. So erhält der Mechaniker schon im Eingangstest eine deutlich umfassendere Diagnose über den Verschleißzustand des gesamten Aktuator-Systems und kann sich danach auch schon der Prävention zukünftiger Verschleißerscheinungen widmen.
In der Folge wird die Lebensdauer der Komponente signifikant verlängert. Die Verfahren zur Anregung des Aktuators sowie zur Auswertung und Interpreation der Messergebnisse wurden in enger Zusammenarbeit mit der Polytechnischen Universität Turin entwickelt.

Als zweite zentrale Komponente neben dem Messsystem verwendet HyDiag einen Industrieroboter, dessen Software vom Geschäftsbereich Geräteinstandhaltung speziell für diese Aufgabe entwickelt wurde. Der Roboter kann alle notwendigen Justage-Arbeiten während des Eingangstests vollautomatisch durchführen und muss, anders als ein Mechaniker, im Gefahrenbereich des druckbeaufschlagten Aktuators nicht mehr gesondert geschützt werden. Auf Basis der erhobenen Messdaten weiß der Roboter zudem immer, wo das jeweilige Optimum bezüglich der Einstellungen liegt und liefert weitere Messdaten, die vorher nicht zur Auswertung zur Verfügung standen. So gelingt die abschließende Justierung des Aktuators, der sogenannte Zertifizierungstest, auch deutlich präziser als bislang von Hand.
Das gesamte Einstellwerkzeug für den Roboter wurde mittels 3D-Druck im Additive Manufacturing Center von Lufthansa Technik hergestellt.
Darüber hinaus nutzt das neue datenzentrierte Verfahren bei der Befundung alle bereits vorhandenen Lebenslaufdaten des jeweiligen Aktuators, von denen pro Eingangstest bis zu 16 Gigabyte generiert werden. Daraus resultiert eine noch umfangreichere und detailliertere Zustandsanalyse, mit der Verschleiße bereits frühzeitig erkannt und behoben werden können.

"Durch den automatisierten Arbeitsprozess können Geräte schneller getestet, mehr Daten generiert und neue Diagnoseverfahren zum Einsatz kommen. Dies ermöglicht uns ein deutlich umfangreicheres Troubleshooting als bisher", sagte Michael Burke, Leiter des Projekts HyDiag bei Lufthansa Technik.

"Für die Instandhaltung von Flugzeugkomponenten stellt die innovative Herangehensweise des HyDiag-Projekts einen echten technologischen Durchbruch dar", sagte Professor Giovanni Jacazio, der den Projektanteil der Polytechnischen Universität Turin verantwortet.
"Unsere gemeinsame Arbeit mit Lufthansa Technik hat die Fähigkeiten bei Prognose und Health Management deutlich vorangebracht. Die resultierenden Fachveröffentlichungen zum Thema haben in der wissenschaftlichen Gemeinschaft für ihre Qualität und ihre wissenschaftliche Relevanz eine hohe Anerkennung erfahren."

Über die Polytechnische Universität Turin:
Politenico di Torino, die Polytechnische Universität Turin, wurde im Jahr 1906 gegründet und hat ihre Wurzeln in der bereits 1859 geschaffenen lokalen Technischen Schule für Ingenieure. Mit circa
30.000 Studenten, 20 Prozent davon aus dem Ausland, und 115 Studiengängen ist sie eine der führenden akademischen Institutionen in Europa. Darüber hinaus unterhält die Politenico di Torino 150 bilaterale internationale Kooperationen und 40 Doppelabschlussprogramme, die sie permanent mit den prestigeträchtigsten Universitäten in Europa verbinden. Für den Beitrag zum Projekt HyDiag zeichnet die Mechatronik- und Servosysteme-Fachgruppe der Fakultät für Maschinenbau sowie Luft- und Raumfahrttechnik verantwortlich, vor allem mit ihrer Kompetenz auf den Gebieten der Servosteuerung, der Robotik, den Prognoseverfahren und des Health Managements.